Nach einer gängigen Definition stellt der Liberalismus im Gegensatz zu anderen politischen Konzeptionen wie dem Sozialismus oder Kon-servatismus - von autoritären oder totalitären Ideologien ganz zu schweigen - die Freiheit des einzelnen Menschen in den Vorder-grund.
Dieser Satz enthält drei Aussagen, die unser liberales Fundament gut beschreiben. Als erstes erwähnt er die Freiheit, für die wir eintreten.
Dann als zweites des einzelnen Menschen - und in der Tat stehen Liberale für Individualismus statt für Kollektivismus.
Die dritte Aussage "stellt in den Vordergrund" bedeutet, dass wir den Menschen durchaus als ein soziales Wesen verstehen, das auf die Gemeinschaft angewiesen ist. Wir gewichten aber anders als andere politische Konzeptionen zwischen Individuum und Kollektiv in einer Weise, dass das Individuum einen größeren Freiraum bekommt, sein Leben eigenverantwortlich zu gestalten.
Wir setzen uns für die Freiheiten des Individuums ein, also Glaubensfreiheit, Meinungsfreiheit und auf die Beschränkung der staatlichen Gewalt auf das erforderliche Minimum.
Dabei lehnen wir den Staat nicht ab, keineswegs und ganz im Gegenteil. Der Staat muss die Freiheitsrechte in der Gesellschaft durchsetzen. Zugleich muss aber der Staat so organisiert werden, dass dabei der Freiraum des einzelnen Bürgers möglichst groß bleibt. Wir wollen einen schlanken, aber starken Staat, jedoch keinen fetten und schlaffen Staat.
Wir sind nicht für unbeschränkte Freiheit, was uns von Libertären unterscheidet. Die Freiheit des einzelnen endet, wo sie die Freiheit anderer beeinträchtigt. Und Freiheit ist für uns stets damit verbunden, Verantwor-tung in der Gesellschaft zu übernehmen.
Im Hinblick auf die Wirtschaft bedeutet Liberalismus, dass wir für die Marktwirtschaft eintreten. Bei unserem Konzept der Marktwirtschaft "Ordoliberalismus" hat der Staat die Aufgabe, einen Rahmen vorzugeben, in dem die Akteure einen möglichst großen Freiraum haben. Der Staat soll möglichst wenig als Akteur auftreten. Er soll also die Regeln festlegen und überwachen, aber möglichst wenig mitspielen. Daraus folgt, dass nach unserem Konzept der Markt keineswegs alles entscheiden soll, was uns politische Gegner häufig aus Unkennt-nis oder in taktischer Absicht vorwerfen. Nein, der Staat setzt einen Rahmen fest, in dem die verschiedenen Ideen, Konzepte, Geschäftsmodelle und auch Technologien im Wettbewerb unter sich ausmachen, welche die besten sind. Auf diese Weise bietet die Marktwirtschaft entscheidend mehr Raum für individuelle Initiativen und Gestaltung.
Wir bekennen uns zur Sozialen Marktwirtschaft. Sie gleicht durch Umverteilung in einem gewissen Umfang die Ungleichheiten aus, die etwa durch Mängel in der Chancengleichheit entstehen, so der sozialen Herkunft, des persönlichen Talents oder durch die Einwirkung äußerer Umstände. Die soziale Marktwirtschaft sehen wir daher als Voraussetzung für einen Grundkonsens in der Gesellschaft.
Ein sehr wichtiger Aspekt kommt bei der Marktwirtschaft hinzu: Die Geschichte hat gezeigt, dass die sie viel effizienter ist als ihre Konkurrenz, die vom Staat gesteuerte Planwirtschaft. Als Folge haben Gesellschaften mit marktwirtschaftlichem System einen deutlich höheren Wohlstand als Gesellschaften mit planwirtschaftlichem System - und das gilt auch für die wirtschaftlich weniger gut gestellten Schichten. Auch sie haben deutlich mehr Wohlstand als vergleichbare Schichten in Planwirtschaften. Salopp kann man sagen: Bei der Wirtschaftspolitik soll sich also nicht primär mit der Frage befassen, wie man den Kuchen verteilt, sondern wie man einen größeren Kuchen herstellen kann, damit am Ende für alle ein größeres Stück abfällt.
Die politische Debatte wird schärfer
Wir erleben, dass die Auseinandersetzung um die politischen Konzepte schärfer wird. Das ist eine Heraus-forderung für uns Liberale. Wir müssen da - wie ich meine - mit mehr Mut unsere Position vertreten.
In ganz Europa werden rechtsradikale und -extremistische Gruppierungen außerhalb des demokratischen Spektrums stärker. Dass wir in scharfem Gegensatz zu diesen oft völkischen Positionen stehen, versteht sich von selbst.
Es gibt auch - die Corona-Pandemie hat es gezeigt - immer mehr Menschen, die wissenschafts-freie Dogmen vertreten, oft gepaart mit Verschwörungstheorien. Der Populismus in all seinen Erscheinungsformen hat ebenfalls Konjunktur.
In der Politik sollte möglichst auf Basis von - oft wissenschaftlich begründeten - Fakten und Belegen argumen-tiert werden. Dies führt aber nicht immer direkt zu eindeutigen Schluss¬folgerungen und politischen Entschei-dungen. Oft gibt es Raum für unterschiedliche Interpretationen und unterschiedliche Werteentscheidungen. "Wissenschaftlichkeit" sollte daher als Anspruch, aber nicht als rhetorische Keule verwendet werden. Wir Liberale vertreten in der Tradition der Aufklärung den "rationalen Diskurs", bei dem Themen offen angesprochen und nicht tabuisiert werden und der in größtmöglichem Umfang auf belegbaren Fakten und transparenten Schlussfolgerungen beruht. Dieser rationale Diskurs sollte abweichenden Meinungen Toleranz entgegenbringen; er sollte auf der Sachebene stattfinden und nicht von persönlichen Angriffen oder Totschlagvokabeln wie "populistisch" oder "...phob" geprägt werden.
Allerdings werden die politischen Debatten häufig mit Argumenten geführt, die nicht rational begründet sind. Das gilt bei Gentechnik, in der Medizin (z.Bsp. Corona-Impfung) und anderen Bereichen. Beim großen Thema Klimaschutz sind wir Freie Demokraten für eine unvoreingenommene Bewertung der Risiken und Chancen verschiedener Ansätze und wir sind daher für Technologieoffenheit. Andere, die leider unsere Klimaschutzpolitik prägen, operieren mit Katastrophenszenarien und schließen bestimmte Technologien und Ansätze von vornherein aus, ohne deren Vor- und Nachteile unvoreingenommen zu bewerten. Zugleich setzen sie auf ein planwirtschaftliches System mit zahllosen Detailregelungen. Dadurch schaden sie massiv dem Ziel, Fortschritte in der Klimaschutzpolitik zu möglichst zu erreichen, zu niedrigen Kosten. Das ist der Grund, warum in Deutschland die Strompreise so hoch sind und zugleich der CO2-Ausstoß höher ist als in anderen Ländern.
Wir nehmen in den politischen Debatten auch immer stärkere kollektivistische Bestrebungen wahr. Viele definieren Grundrechte wie Freiheit oder Gleichberechtigung nicht mehr auf der Ebene von Individuen, sondern auf der Ebene von Kollektiven. Dies steht im Gegensatz zu unserem liberalen Individualismus - und zum Grundgesetz. Ein Beispiel sind Geschlechterquoten. Hier wird der angestrebte Zustand, die Gleichberech-tigung oder die Gleichstellung, auf Basis von Gruppen definiert. Als Folge haben wir mittlerweile Gesetze, die in bestimmten Konstellationen die Diskriminierung von Individuen aufgrund ihres Geschlechts explizit vorschrei-ben. Und wir haben ja auch einen Koalitions¬partner, bei dem ein Mann wegen seines Geschlechts nicht auf Platz 1 einer Landesliste stehen darf.
Die gesellschaftlichen Gruppen, die sich hinter dem Begriff Identitätspolitik sammeln, denken ebenfalls kollektivistisch. Sie möchten bestimmen, wie die Menschen zu leben haben. Menschen werden nicht primär als Individuen gesehen, sondern als Teil von Gruppen. Diese Gruppenzugehörigkeit bestimmt den Status der Menschen und soll den gesellschaft-lichen Dialog dominieren. Wichtig ist demzufolge, wer etwas sagt und nicht, was jemand sagt. Die Gruppenzugehörigkeit ist wichtiger als das Argument. Auch dies steht in direktem Gegen¬satz zu dem rationalen Dialog, für den wir Liberalen stehen.
Die genannten Gruppierungen versuchen, die Gesellschaft aktiv zu formen, den gesellschaftlichen Dialog durch Tabuisierung und Stigmatisierung von Positionen zu verengen und bestimmte Moralvorstellungen durchzusetzen. Diese Bestrebungen sind meist paternalistisch und häufig autoritär. Sie sehen die Men-schen nicht als mündige Bürger, sondern als Erziehungsobjekte. Diesen Bestrebungen müssen wir Liberale uns entschieden und lautstark entgegenstellen.
Wir haben enorme Herausforderungen
Die Herausforderungen für die Politik in Deutschland, Europa und der Welt sind enorm. Wir müssen den Klimawandel bremsen und aufhalten. Wir müssen uns der der imperialen Politik von Putins Russland stellen, die von unseren Vorgänger-Regierun¬gen leichtfertig ignoriert wurde, der Masssenmigration und zahlreiche hausgemachte Probleme angehen.
Wir haben eine EU, die vor allem auf staatliche Steuerung setzt, auf zu großzügige Finanzie-rung und die Verantwortung verwischt. Marktwirtschaft und finanzielle Solidität stehen bei ihr nicht hoch im Kurs. Die Folge dieser Politik ist, dass die EU es entgegen ihrer Versprechungen nicht schafft, wirtschaftliche Dynamik zu entfalten. Wenn man die Wachs-tumsraten der letzten 10 oder 15 Jahre vergleicht, sieht man, dass Europa von den USA abgehängt wurde. Aktuell haben alle europäischen Staaten sehr geringes Wirtschaftswachs-tum und in Deutschland ist es sogar negativ und das trotz des EU-Wiederaufbaufonds von mehreren Hundert Mrd. €.
Wir haben in Deutschland die Herausforderungen unserer Demographie, also der wenigen Geburten kombiniert mit zunehmender Lebenserwartung, die unsere auf Generationenver-trägen basierenden Sozialsysteme unterminiert. Wir brauchen Zuwanderung, um unseren Bedarf an Fachkräften zu decken. Wir sind aber nicht imstande, jedes Jahr die Massenmigration in unsere Sozialsysteme zu verkraften, weder finanziell noch von der Bereitstel-lung von Fachkräften, Wohnraum und Infrastruktur. Wir haben große Aufgaben bei der Digitalisierung und der Verschlankung des Staates. Wir müssen unsere Bahn und die Ver-kehrsinfrastruktur wieder in einen guten Zustand bringen.
Und - auch das wichtig für uns Liberale als Voraussetzung für Chancengerechtigkeit - wir müssen viel besser werden in der Bildungs¬politik. Gerade wir in Baden-Württemberg erleben, dass wir in der Rangliste der Länder in der Bildungspolitik nach unten durchgereicht werden. Man braucht Geld für gute Bildungspolitik, aber es liegt nicht nur am Geld. Wir brauchen endlich gute Bildungspolitik.
Das alles sind viele Herausforderungen, vor denen wir stehen. Wir meinen, das unsere liberalen Grundwerte und unsere liberalen Instrumente, also der Liberalismus das beste politische Konzept ist, diese Herausforderungen zu bewältigen.